Donnerstag, 29. Januar 2009

Big Ice

Der Knall ist laut, wie ein Kanonenschuss. Ich versuche herauszufinden, wo er herkommt. Vor mir erstreckt sich die blaeulich schimmernde Wand des Gletschers Perito Moreno. Und irgendwo an dieser Wand ist gerade ein riesiges Stueck Eis abgebrochen und in den Rico-Arm des Lago Argenino gestuerzt. Leider kann ich genau diesen Arm des Sees von hier aus nicht sehen. Trotzden, der Anblick ist gewaltig. Eine riesige Eismasse schiebt sich mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Tag (in seiner Mitte) vom Gebirge bis in den See. Ein traeger Eisfluss - und ich werde auf ihm wandern.
Am Basislager werden Steigeisen ausgeteilt und in Rucksaecken verstaut. Dann geht es am Rande des Gletschers, der sogenannten Moraene, nach oben. Die Gruppe besteht aus 12 Wanderern und drei Bergfuehren. Deren Chef heisst Carlos, ein duerrer, zaeher Kerl Ende 50, der aussieht, als wuerde er den Nanga Parbat zum Fruehstueck verspeisen. Er legt ein ziemliches Tempo vor. Schliesslich stehen wir auf Eis. Die Steigeisen werden angeschnallt. Da keiner der Wanderer eine Ahnung davon hat, wie das geht, uebernehmen die Bergfuehrer diese Arbeit. Es folgt eine Einweisung, wie man sich mit den Eisen an den Fuessen im Eis bewegt. Anfangs ist es ein merkwuerdiges Gefuehl, ein wenig breitbeinig mit den schweren Spitzen an den Schuhen durch das Eis zu staksen, aber daran gewoehne ich mich schnell. Wenn man sich selbst und den Eisen vertraut ist es bald kein Problem mehr, selbst ziemliche steile An- und Abstiege im Eis zu gehen. Der Trek beginnt.
Die Schwierigkeit beim Wandern auf einem Gletscher besteht darin, dass sich der Gletscher staendig veraendert. Ein Weg, der gestern noch voellig ungefaehrlich war, kann heute schon in einer Katastrophe enden. Deshalb gehen immer zwei Bergfuehrer voraus und erkunden die Sicherheit des Untergrundes. An schwierigen Stellen hauen sie mit ihren Eispickeln Stufen ins Eis und helfen uns Wanderern, damit wir nicht in irgendwelche tiefblau schimmernden Loecher fallen.
Nach einer halben Stunde habe ich fast vergessen, dass ich Steigeisen an den Fuessen habe und bewege mich voellig ungezwungen auf dem Gletscher. Ich geniesse die riesige, grandiose Landschaft, die blauen Seen, die glasklaren Baeche, die sich durch das Eis schlaengeln und irgendwann in tiefen Loechern im Gletscher verschwinden. Das Wetter aendert sich fast im 10-Minuten-Takt. Sonnenschein, Regen, kalter Wind, warmer Wind, Windstille. Ich habe mich selten so mit der Natur verbunden gefuehlt.
Nach drei Stunden im Eis, nach einer Rast an einem blauen See, nach mehr als 10 Kilometern Wanderung stehe ich wieder auf Felsen und schnalle die Eisen von meinen Fuessen. Und als wir wenig spaeter mit dem Boot ueber den See fahren, bricht laut donnernd eine riesige Eissaeule ins Wasser, als wollte sich der Gletscher mit einem letzten Gruss von mir verabschieden.

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Ich bleibe bis uebermorgen in El Calafate. Eigentlich wollte ich schon morgen nach Ushuaia / Feuerland fahren, aber in der Hauptsaison ist es schwierig, noch einen Platz im Bus zu buchen. Die Gegend rund um El Calafate ist jedoch sehr schoen und so ist es nich schlimm, hier etwas mehr Zeit zu verbringen.

Dienstag, 27. Januar 2009

Hinter dem Berg

Der Grundriss von Esquel ist ein Schachbrettmuster. Ein eigentlichen Stadtzentrum gibt es nicht. Normalerweise ist hier schon nicht viel los. Sonntags passiert gar nichts. Ich habe noch ein paar Stunden Zeit, bis mein Bus nach El Calafate faehrt. Das Wetter ist schoen, was liegt also naeher, als einfach geradezu die Strasse entlang zu gehen, den Berg hinauf - um zu sehen, was sich dahinter befindet.
Ich gehe eine Schotterstrasse hinauf. Ab und zu kommt ein Auto vorbei und staubt mich ein. Nadelwald rechts und links. Ab und zu ein Blick auf den Ort, der auch von Oben nicht schoener wird. Ein Hase hoppelt ueber den Weg. Ich habe keine Ahnung, was mich hinter dem Berg erwartet. Die legendaere Silberstadt, ein riesiges Industriegebiet, Steppe? Ich komme ueber einen Pass, dahinter ein neues Tal, immernoch Wald. Dann biege ich in einen Waldweg ab. Ein paar hundert Meter weiter und ich stehe an einem kleinen Teich, vor ihm grasen Pferde, eine umzaeunte Weide erstreckt sich das Tal entlang. Weit entfernt druecken sich regenschwere Wolken an die Andengipfel. Und auf der anderen Talseite, nur als kleine Puenktchen zu erkennen, treiben zwei Reiter unter lautem Rufen eine Rinderherde auf die Weide. Ich setze mich auf einen Baumstamm, rauche eine und freue mich.

Genau das ist der Grund, warum ich reise. Ich will wissen, was hinter dem Berg ist. Das muss nicht spektakulaer sein. Ich muss nicht unbedingt wilde und haarstraeubende Abenteuer erleben (wenn doch: auch gut). Mir reicht es, hier zu sein, den fremden Boden unter meinen Fuessen zu spueren, die Luft zu atmen, zu sehen, was oder wer hier lebt.

Sollte ich allerdings morgen versuchen, mit einer Hand einen Puma zu erwuergen (weil ich in der anderen Hand die Kamera halte) dann koennt ihr sicher sein, dass ich darueber eine spannende und ueberaus farbige Geschichte schreiben werde.

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Seit gestern abend bin ich in El Calafate. Hier gibt es Gletscher ohne Ende - und ich werde sie mir ansehen.